Mutmach-Elternbrief Juni 2020

 

Liebe Eltern, liebe Kinder,

der Brief ist in der Du Form geschrieben. Denn er ist auch für die Kinder, liest sich dadurch einfach flüssig und er ist auch an mich.

  • Du bist großartig und Du leistest enorm viel, so wie Du gerade kannst, ganz nach Deinen Möglichkeiten!
  • In dieser Krise leistest Du ganz erstaunlich großartiges!
  • Du bist wichtig!
  • Du bist einzigartig!
  • Du bist ein wahres Multitasking-Talent!
  • Du bist es wert gelobt zu werden, jeden Tag, mehrmals am Tag, jede Stunde, immer!
  • Deine Fehler kennst Du gut genug!
  • Du kannst sie meistern, so wie es Dir derzeit möglich ist!
  • Deine Situation ist einzigartig, Deine Wahrnehmung und Dein Umgang mit der aktuellen Krise ist einzigartig.

Ich bin keine Politikerin, keine Schulleiterin, keine Firmenchefin, keine Bildungsbeauftragte, keine Mitarbeiterin vom Jugendamt, Caritas, Elternverband etc. Ich bin Mutter, selbständig in der außerschulischen Lernbegleitung und in meiner Arbeit fällt mir auf, was Eltern und Schüler leisten. Mir fällt auf, wie oft wir dies vergessen, geschweige denn von irgend einer Stelle zu hören bekommen. Die allermeisten von uns haben von Klein an erfahren, dass wir nicht gut genug sind, so wie wir sind. In vielen Bereichen zeigt uns Erziehung meist auf, dass wir mit dem was uns wirklich ausmacht nicht wirklich ausreichend sind. Was wir oft aus der Freude heraus von uns geben, zu Papier bringen und täglich aus uns selbst heraus einfach so vollbringen, reicht nicht.

Ich finde, es ist angebracht und längst überfällig mal ein ganz dickes, fettes Lob sowie ein riesengroßes Dankeschön an Dich auszusprechen.

Das Familiengeld mag in diese Richtung weisen und für etliche Familien sicherlich ein kleines Trostpflaster darstellen. Doch bei gleichzeitiger aktueller monatlicher Gehaltserhöhung im dreistelligen Bereich für Spitzenpolitiker, steht das Familiengeld als Symbol der einmaligen monetären Wertschätzung an Familien in einem sehr fragwürdigen Verhältnis. Noch dazu wenn wir an die enorme Staatsverschuldung für die Autoindustrie, Luftfahrt, Waffenentwicklung und die vielen lebensfeindlichen Dinge denken. Echter Dank, ernst gemeinte Wertschätzung sieht völlig anders aus. Sie beginnt vor allem bei uns, bei jedem einzelnen von uns.

Danke für Deine Geduld, für Deine Stärke, für Dein Dasein, für Deine Freuden in Krisenzeiten, für Deine Traurigkeiten, sie sind sehr berechtigt, für Deine Einsamkeit, für Deinen Mut, trotz der enormen Herausforderungen und Krisen immer wieder Ja zum Leben zu sagen! Das ist nicht selbstverständlich!

Danke für Deinen Mega-super-riesen-spitzen-klasse-Einsatz auf allen Ebenen!

Danke für Dein Durchhaltevermögen! Danke für Deine Lebendigkeit, für die vielen Kleinigkeiten von Dir! Danke für Dein Staunen, Danke für Deine Ehrlichkeit, Danke für Deine Fehler, Danke für Deine Schwächen, Danke für Deine Gedanken, Worte, Gefühle und Taten! Danke für Dein so sein! Danke für Deine Nettigkeiten! Danke für Deine Talente! Danke für Dein Lächeln! Danke für jeden Deiner Herzschläge und Atemzüge!

Danke für alles!

Ich bin der Meinung Anerkennung, Wertschätzung und Wohlwollen darf es tonnenweise regnen. Es ist immer passend, ganz besonders in einer Höher-Besser-Schneller-Mehr-Leistungsgesellschaft. Eine Gesellschaft, die Wertschätzung und Anerkennung dieser Art belächelt. Oft aufgrund der Überzeugung, Lob, Anerkennung und Wertschätzung muss hart erarbeitet werden. Wir sind es nicht gewöhnt, es schmerzt sogar und/oder finden es sehr befremdlich!

Demzufolge klingt es wahrscheinlich für viele merkwürdig, wenn ich mal so einiges aufzähle, was wir Eltern täglich leisten. Viele halten es vielleicht für selbstverständlich, viele möglicherweise für nicht weiter beachtenswert. Ich halte es für unbedingt erwähnenswert. Denn nach meinem Wissen wird es bisher nicht gebührend getan. Die Gründe dafür mögen verschiedenste sein. In der Bibliothek sind die Regale im Bereich Eltern/Elternratgeber prall gefüllt mit wertvollen Büchern über Sprachentwicklung, Burn-Out Kids, Pubertät, Trotzphase, Bewegung, Lernhilfen, Erziehungstipps, Naturpädagogik und und und. Doch wohl nicht deshalb weil Eltern sein an sich und Kinder begleiten eines der leichtesten Aufgaben ist?

Es handelt sich hier offensichtlich um eine komplexere, herausfordernde und zugleich lohnenswerte und gewinnbringende Aufgabe. Warum wird die Aufgabe von Eltern dann so sehr unterschätzt, missachtet und lediglich an Mutter- und Vatertag gewürdigt und das wohl auch nur vorwiegend Anstandshalber? Andererseits wird die Elternaufgabe von nahezu allen Seiten mit höchsten Ansprüchen, Erwartungshaltungen, mit dem erhobenen Zeigefinger getadelt. Warum wird Erziehung/Bildung als etwas angesehen das eigentlich nur von pädagogischen Institutionen umfassend umgesetzt werden kann, obwohl unser Bildungs-/Schulsystem in so vielen Bereichen ganz offensichtlich versagt? Dies zeigt sich u.a. daran, dass ganzheitliches Denken und Querdenken nach wie vor unerwünscht sind. Statt dessen stehen Anpassung, Rationales Denken und Notendruck statt Lernfreude, Kreativität, Zeit für individuelles Begreifen sowie Sozialkompetenzen an oberster Stelle. In Corona-Zeiten haben wir die Aufgabe des unentgeltlichen Taxifahrers vorerst einstellen dürfen und viele scheinbar selbstverständliche und unbezahlte Aufgaben weitergeführt und zusätzlich übernommen, wie z.B.:

  • Durchhalten schlafloser Nächte bzw. Schlafforschung
  • Tiefenpsychologe
  • Clown, Kabarettist und Alleinunterhalter
  • Krankenschwester
  • Pupertätsjongleur
  • Geschwisterstreitschlichter
  • Kommunikationsexperte
  • Homeschooling-Improvisation mit Aufgaben wie
    Motivationscoach
    Strukturhelfer
    Lernhelfer in Deutsch, Mathe, Englisch, Französisch
    Musik, Sport, Kunst, Naturpädagogik, Religion, Physik, Chemie, Technik, Experimente und Lerninhalte mit allen Sinnen erfahrbar machen etc.
  • Existenzfragen/-probleme managen
  • individuelle und kollektive Krisenbearbeitung
  • berufliches Neuland via Homeoffice, Online-Seminare, Webinare etc.
  • ständig neue Infektionsschutz-Verordnungen im Blick halten
  • Kochen
  • Waschen
  • Putzen
  • Einkaufen
  • Garten
  • Ehe/Partnerschaft Patchwork meistern bzw.
  • alleinerziehend alles selbst meistern
  • Freundschaften pflegen
  • Gesundheitscoach
  • Ernährungsexperte
  • Hygienemanager
  • Naturpädagoge, Umwelt- und Ökoberater
  • u.v.m.

Dies sind nur einige Beispiele. Die Liste lässt sich problemlos mit ganz individuellen Themen wie etwa Schwangerschaft, Geburt mit Maske, Stillzeit, Trauerbewältigung,  Umzugsmanagement, Tierpflege, Löwenbändiger, Scheidungseinreichung/-bewältigung, Traumaverarbeitung/-verdrängung etc. erweitern.

Krisen sind Chancen und Familien können in dieser Zeit neu zusammen finden, Zusammenhalt erleben, Kontrollbedürfnisse erkennen bzw. vermindern, Vertrauen in sich, ins Leben aufbauen, entschleunigen, neue Hobbies entdecken, Haus/Wohnung putzen, neu gestalten, Werte neu ordnen und erleben etc. Manche Krisen können auch zu schmerzhaften Zusammenbrüchen führen. Auch dies birgt Chancen und kann zu neuen Lebensinhalten und -wegen führen.

Aufbauende Worte, Wertschätzung, Anerkennung, ein Lächeln, ermutigende, hilfreiche Gedanken und Taten können einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten! Damit wir in dieser Krise nicht untergehen bzw. gestärkt hervorgehen.
Wir Eltern leisten einen enormen Beitrag für die ganze Gesellschaft, mit unseren Stärken und Schwächen, meist ungesehen, ungefragt, unentgeltlich. Es ist an uns Eltern wohlwollende Unterstützung ohne Scham, falsche Bescheidenheit oder Stolz bzw. Kränkung anzunehmen. Denn zur verantwortungsvollen Begleitung eines Kindes bedarf es nicht nur sprichwörtlich ein ganzes Dorf. Entsprechend kann es gar nicht von einem Elternteil oder zwei alleine übernommen werden. Was nicht bedeutet, dass wir Eltern unfähig wären. Im Gegenteil, wir geben alles, können sehr hartnäckig dran bleiben, sind wie Langstrecken-Hürdenläufer, stehen vor enormen Herausforderungen und haben ein großes Dankeschön sowie Wertschätzung, in den verschiedensten Formen mehr als verdient! Dies erhalten wir ganz offensichtlich selten, bis gar nicht in ernst gemeinter Weise! Doch das können wir ändern! Indem wir selbst die Veränderung sind und damit bei uns selbst anfangen.

Wir Eltern und Kinder leisten großartiges, sind so vielseitig, strengen uns an, geben unser bestes, können auch nicht einfach aus unserer Haut und nicht ohne weiteres aus dieser Krisensituation heraus. Wir sind manchmal unter- und oft auch überfordert, geben nicht auf, dürfen schwach sein und dürfen Hilfe in Anspruch nehmen. Wir dürfen unperfekt sein, wissen viel, haben so viel Kraft, tragen alles Wissen in uns und haben unseren Platz. Wir dürfen uns und unsere Bedürfnisse ernst nehmen, dürfen unsere Meinung äußern auch wenn sie nicht den vorgegebenen Richtlinien entsprechen. Wir haben ein Recht auf die Wahrung der Grundrechte. Wir sind freie Wesen, dürfen uns frei und individuellentfalten ohne einem anderen dabei zu schaden!

Du bist einzigartig, großartig und sooo wunderbar und ganz besonders unendlich geliebt, denk immer wieder mal dran!!!

Der Elternbrief kann gerne weitergeleitet werden bzw. als Anregung dienen, eigene Worte zu formulieren. Denn es ist nie zu spät für ein Dankeschön.
Danke!

Bäume zeigen uns wie ein gesundes Miteinander aussehen kann. Sie helfen einander zu wachsen, indem die großen Bäume ihr Wachstum einstellen und somit den Kleineren beim Wachsen mithelfen. Ein grandioses Miteinander ohne Egoismus und Wirtschaftsgigantismus.

Liebe Grüße
Sylvia Tausendfreund

 

Elternbrief als PDF Download >>